Ankommen in der Dortmunder Nordstadt und Darüber Hinaus
Unser erster Transfer-Workshop in der Dortmunder Nordstadt fand am 20.05.2022 im Dietrich-Keuning-Haus statt. Ziel der Veranstaltung war es, erste Einblicke in die bisherige Forschung zu geben und sich zu zentralen Themen auszutauschen. An dem Workshop haben rund 20 lokale und regionale Stakeholder aus Zivilgesellschaft, Verwaltung und Politik teilgenommen, darunter Vertreter*innen folgender Organisationen und Institutionen:
Dortmunder Integrationsnetzwerk „lokal willkommen“
Kommunales Integrationszentrum Duisburg
MIA-DO-KI Kommunales Integrationszentrum Dortmund
MigraDO Dienstleistungszentrum Migration und Integration
MKFFI Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration
Sozialplanung im Sozialdezernat der Stadt Dortmund
Stadtteilmanagement Duisburg-Marxloh
VMDO Verbund der Sozio-kulturellen Migrantenvereine Dortmund
ZEÖ Zentrum für Ethnische Ökonomie
Die Veranstaltung fand in angenehmer Atmosphäre und endlich (wieder) in Präsenz statt. Durch lang etablierte und starke Netzwerkstrukturen in Dortmund kannten sich viele der Teilnehmenden bereits, es konnten jedoch auch neue Verbindungen geschaffen werden. Gäste aus Duisburg, dem MKFFI sowie aus London und dem EU-Projekt ReROOT boten die Möglichkeit zu (über)regionalem Austausch.
Inhaltlich beschäftigten wir uns im Format des World Cafés vor allem mit drei Themen, die wir im bisherigen Forschungsprozess als wichtig identifiziert haben:
- Die Rolle von Ankunftsquartieren im gesamtstädtischen Kontext
- Ankunftsinfrastrukturen und Zugänge
- Diversitätsorientierter institutioneller Wandel
Die ambivalente Funktion von Ankunftsquartieren wurde am Tisch 1 lebhaft diskutiert. Einerseits zeichnen sich Ankunftsquartiere wie die Nordstadt durch eine Dichte an (nicht-)formalen Ankunftsinfrastrukturen aus, die Neuzugewanderten den ersten Zugang zu Ressourcen erleichtern und als „Sprungbrett“ dienen können. Andererseits konzentrieren sich hier viele Geringverdienende und die Nachbarschaft wird als Mobilitätsfalle bezeichnet. Gleich zu Beginn wurde festgestellt, dass die Nordstadt seit Jahrzehnten trotz dezentraler Verteilung von Geflüchteten ein wichtiges Ankunftsquartier darstelle. Diese gesamtstädtische Rolle werde das Quartier auch zukünftig übernehmen und damit einen zentralen Beitrag zur Teilhabe Neuzugewanderter leisten. Es wurde betont, dass die Zusammensetzung einer Nachbarschaft nur bedingt steuerbar ist. Eine gezielte Gestaltung als „Ankunftsquartier“ kann jedoch helfen, einem negativen Image entgegenzuwirken, indem die gesamtstädtische Rolle dieser Quartiere anerkannt und gestärkt wird. Das Beispiel des Duisburger Ankunftsquartiers Marxloh zeigt, wie eine Kommune gezielt an der Außenwahrnehmung eines Viertels und weiteren Ressourcenbündelung arbeitet. Die Teilnehmenden waren sich einig, dass Ansätze der Förderung von Teilhabe und Begegnung möglichst kleinräumig auf der unmittelbaren Nachbarschafts- oder Hausebene gedacht werden sollen. Unterstrichen wurde auch, neben den Zugewanderten auch die Bedarfe der alteingesessenen Bevölkerung kontinuierlich mitzudenken. Als wichtige Rahmenbedingung für ein erfolgreiches Ankommen im Viertel hoben die Teilnehmenden insbesondere gute Bildungsmöglichkeiten für alle Bewohner*innen hervor. Um das Ankommen zu erleichtern, sei der weitere diversitätsorientierte institutionelle Wandel (z.B. Diversitätsrichtlinien oder Rekrutierungsstrategien) von zentraler Bedeutung.
Wie Neuzugewanderte Zugänge zu unterschiedlichen gesellschaftlichen Ressourcen bekommen, ist ein weiteres wichtiges Thema. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein großer Teil der (insbesondere neuangekommenen) Bevölkerung von Armut betroffen oder bedroht ist, kommt sozialen Infrastrukturen in der Nordstadt eine besondere Bedeutung zu. Hierbei ging es vor allem um das Zusammenwirken formeller und weniger formalisierter Ankunftsinfrastrukturen. Deutlich wurde: Informationen zum Beispiel zu freiwerdenden Wohnungen oder passenden Jobs werden häufig in alltäglichen Kontexten (wie z.B. dem Gespräch beim „Laden um die Ecke“) vermittelt. So gelangen Neuzugewanderte auch zu formelleren Unterstützungsstrukturen. Bei einem gemeinsamen Mapping am Tisch wurde deutlich, dass innerhalb der bestehenden Netzwerke von Institutionen und Organisationen eine Vielzahl an Vermittlungen und Kooperationen stattfinden und Akteur*innen teilweise auch räumlich zusammenarbeiten (z.B. durch mobile Teams, die in Beratungsstellen und Nachbarschaftszentren Vor-Ort-Sprechstunden anbieten). Die Stadt Dortmund verfolgt sowohl zentralisierte (MigraDO), als auch dezentralisierte (z.B. lokal willkommen) Ansätze. Zudem existieren Strategien, um in Alltagsorten präsent zu sein und Communities von Neuzugezogenen – zum Beispiel durch Multiplikator*innenprojekte – strukturell einzubinden. Als Problem wurden Förderlogiken mit kurzen und zeitlich begrenzten Projektzyklen genannt, die der Kontinuität der Neuzuwanderung in den Zuwanderungsquartieren nicht gerecht werden. Darüber hinaus fehlt es aktuell in der Nordstadt an Schulplätzen, Betreuungsmöglichkeiten für Kinder und Kinderärzt*innen, was die Ankommensbedingungen für Kinder, aber auch für ihre Familien (und insbesondere Mütter) stark beeinträchtigt.
Am dritten Tisch ging es um Anforderungen an und Strategien für institutionellen Wandel in Stadt, Quartier und lokalen Organisationen, um Diskriminierungen abzubauen und einer diversen Gesellschaft zu begegnen. Die Teilnehmenden waren sich einig, dass die Diversitätsorientierung in allen Verwaltungsbereichen bis hin zu Schulen und KiTas einen entscheidenden Beitrag leistet, um den Zugang zu wichtigen Ressourcen für Zugewanderte zu gewährleisten. Mehrsprachigkeit wurde als wichtiges Element interkultureller Öffnung der Verwaltung benannt. In einigen öffentlichen Institutionen werden zunehmend Dolmetscher*innen und mehrsprachige Beschäftigte eingesetzt. Insgesamt fehle jedoch eine Strategie im Umgang mit und der Förderung von Mehrsprachigkeit in Verwaltungen. Zudem sollte gezielt auf eine diskriminierungsfreie Organisationskultur, in der Probleme offen angesprochen werden können, hingearbeitet werden. Die Teilnehmenden diskutierten verschiedene Strategien, um dies zu erreichen, darunter Personalrekrutierungsansätze, gezieltes Coaching und Beförderung sowie interkulturelle Bildung und Sensibilisierung. Die jüngsten Krisen haben nach einhelliger Meinung wichtige institutionelle Lernprozesse beschleunigt. So haben die COVID-19-Pandemie, die damit verbundenen Vorsichtsmaßnahmen und die Impfkampagne es nötig gemacht, alle Bevölkerungsgruppen schnell und umfassend zu erreichen. Dadurch wurde die Bedeutung mehrsprachiger und niedrigschwelliger Informationen und Angebote offensichtlich. Auch die schnelle Reaktion der Verwaltung der Stadt Dortmund auf den Krieg in der Ukraine wurde hervorgehoben. Hier konnte auf den Erfahrungen im Zuge der Zuwanderung 2015 aufgebaut werden.
In der abschließenden Runde kam es zu teils kontroversen Diskussionen und neuen Anstößen für den laufenden Forschungsprozess. Die gesamtstädtische Rolle von Ankunftsquartieren, das Zusammenspiel formellerer und informellerer Ankunftsinfrastrukturen sowie Strategien eines diversitätsorientierten institutionellen Wandels sind Themen, die weiterer Forschung, aber auch Aushandlungen in der Praxis bedürfen. Insgesamt haben wir viel positives Feedback bekommen und hoffen, dass die Veranstaltung einen Auftakt für weiteren Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis darstellte. In einer Kurzabfrage ihrer Ideen für zukünftige Austauschformate wurde deutlich, dass sich die meisten Teilnehmenden eine stärkere Einbeziehung von den Neuankommenden wünschen, deren Lebenswelten in den Diskussionen thematisiert wurden. Auch gemeinsam geplante Interventionen sowie interkommunaler und internationaler Austausch bekamen als Vorschläge viel Zustimmung. Wir freuen uns auf eine gemeinsame Zusammenarbeit und hoffen, dazu beitragen zu können, das Ankommen in der Dortmunder Nordstadt und darüber hinaus zu verbessern.